Reisebericht: Rund um den Bodensee

Von unseren Gast Rolf

Überlingen

Gern nutze ich die Gelegenheit, einige meiner Eindrücke und Beobachtungen aus diesen aktiven und erlebnisreichen Tagen zu Papier zu bringen, die vielleicht auch einige Anregungen enthalten, was Sie als Organisator verbessern oder auch ein wenig zum Schmunzeln bringen könnte. Dabei möchte ich vorausschicken, dass die Tour, die ich mit meinem besten Freund absolviert habe, ein Geschenk meiner Kinder zum 70. Geburtstag war. Da bei meinen täglichen Meldungen nach Hause wahrscheinlich eine gewisse Erschöpfung anklang, wurde mir schon die Frage gestellt, ob ich die Reise als Geschenk oder als Bestrafung betrachte, so konnte ich doch mit Stolz vermelden: Natürlich als Geschenk!
Außerdem bin ich das Risiko eingegangen, mir eine Wetterprognose für die Bodensee-Region, bei der Buchung Anfang Juli, im Internet für Ende August geben zu lassen. Es hört sich im Nachhinein fast wie ein Wunder an – sie hat zu 100 % gestimmt (mit Regenfällen vor und nach unserer Abreise)! Die Witterungsbedingungen während der Tour waren fürs Radfahren wirklich optimal.
 

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Am Anreisetag (nach 820 km Autofahrt von Berlin bis Konstanz) wollten wir noch alten Freunden in Lengwil (CH) einen Besuch abstatten. 8,5 km vom Hotel in Konstanz entfernt eigentlich ein gutes Training, aber leider hatten unsere Freunde nicht erwähnt, dass ca. 150 Höhenmeter zu überwinden waren und Google Maps nicht funktioniert, wenn die Roaming-Funktion nicht aktiviert ist. Umwege waren also vorprogrammiert, so dass der Gastgeber -mit seinem E-Bike- uns erst einmal gesucht und zum Glück auch gefunden hat. Die Rückfahrt – immer bergab – war eine kleine Entschädigung für den beschwerlichen Anstieg.
222 km sind es letztendlich geworden, und obwohl als leichte Tour bezeichnet, waren manche Abschnitte ganz schön fordernd und mussten nach dem Motto „Wer sein Rad liebt, der schiebt“ von mir bewältigt werden.  Außerdem hatte ich mich bewusst gegen die elektrische Variante entschieden, um den inneren Schweinehund ein Schnippchen zu schlagen, auch wenn an dieser Entscheidung zeitweise Zweifel auftraten, vor allem wenn ich den mitleidigen Blicken der meist noch älteren Radtouristen ausgesetzt war.

Anreise Konstanz

Aus Berlin kommend, fühlten wir uns ein bisschen in eine andere Welt versetzt. Alles sehr sauber und gepflegt, überall blühende Gärten, Weinberge, Obstplantagen, Wiesen und Wälder, alles Grün, wohin man auch blickte. Bei der Wetterlage im August 2022 eine Farbe, die man in der Region Berlin-Brandenburg mit der Lupe suchen muss, findet man dort doch eher eine gelbe Savannen- oder Steppenlandschaft vor.  Am Bodensee wächst und gedeiht alles, wie es sein soll. Der Mais steht fast überall 3 Meter hoch.
Nicht nur die Sonne, sondern auch der Regen scheint 2022 die Region richtig verwöhnt zu haben. Äpfel, Birnen und Weintrauben hängen schwer an den Bäumen und Weinstöcken. Die Qualität und der Geschmack des überall angebotenen Obstes brauchen deshalb -in diesem Jahr- keinen Vergleich zu scheuen, wovon wir uns selbst überzeugen konnten.
Unzählige Zelt- und Campingplätze, Badestellen und viele Besucher, die einfach am Bodensee erholsame Stunden oder Tage verbringen wollten. Sie haben es so wie wir gemacht, und die Schönheit der Region einfach genossen.
 

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Maisfeld
Weinberg am Bodensee
Holzbrücke bei Hard

 

Wenn man das erste Mal eine organisierte Tour mit dem Fahrrad über eine solche Strecke von 200 km unternimmt, ist man natürlich gespannt, was einen erwartet. Die Antwort ist kurz und knapp: Für Fahrradfahrer ein Paradies! Breite Wege, gute Ausschilderung, mit etwas gewöhnungsbedürftigen Straßenschildern („Ausgenommen Anstösser“) und genügend Plätze, um eine Pause einzulegen und den Trinkwasservorrat aufzufüllen. Manchmal „störten“ nur die Fußgänger, die mit ihren Hunden unterwegs waren.
In einigen Orten, z.B. in Konstanz, hatten wir das Gefühl, dass die Radfahrer wirklich die Macht übernommen haben. Fahrradstraßen (nicht Fahrradwege) führen durch die Stadt, die nicht nur von den Besuchern, sondern auch von den Einheimischen intensiv genutzt werden.

Verkehrsschild Schweiz

 

Als „Langsamradfahrer“ gehörte ich der Minderheit an und konnte in aller Ruhe die Landschaft genießen.  Gleichzeitig wurde ich immer wieder von einem Meeresrauschen überrascht, das aus verschiedenen Richtungen kam. Meeresrauschen am Bodensee? Wer von Bataillonen E-Bikefahrern, Breitreifenfahrern oder Hobbysportlern auf Rennrädern in hohem Tempo überholt wird (aufgemalte Geschwindigkeitsbegrenzungen 20 oder 30 km hatten reine Alibifunktionen), war über die Geräusche sehr glücklich, denn sonst hätte ich mit eingeschränktes Hörvermögen das Meeresrauschen vielleicht gar nicht bemerkt.

Unterwegs am Bodensee

Offensichtlich habe ich die Angebote von Radweg-Reisen nicht intensiv genug studiert, denn einige haben sicher die Rundfahrt als Halbtages- oder Eintages-Tour gebucht, in einem solchen Tempo sind die an uns vorbeigefahren, und das waren keine Einzelfälle! Ja, manchmal waren so viele auf der Strecke unterwegs (vor allem zwischen Meersburg und Friedrichshafen), dass in den Verkehrsmeldungen im Rundfunk auch Staus auf Fahrradwegen mit aufgenommen werden sollten.
Vielleicht hat dieses Tempo auch noch einen anderen Grund? Bei der Vielzahl der rund um den See ansässigen Weltkonzerne, wie ZF, Airbus, MTU und Stadler, die sich alle irgendwie mit Antrieben beschäftigen, nutzen diese das Interesse am Fahrradfahren, um möglichst viele Neuentwicklungen und Prototypen zu testen. Zumindest manchen war anzusehen, dass man dafür ohne Probleme einen Kleinwagen hätte eintauschen können. Hochgerechnet wurden für alle Räder, die am See unterwegs waren, Millionen von Euro ausgegeben.
 

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Eine weitere Besonderheit der Strecke bestand darin, dass diese auf mindestens einem Drittel der Weg parallel zu den Regionalbahnstrecken verlaufen. Besonders auf dem Schweizer Abschnitt fahren die Züge in sehr kurzen Zeitabständen. Das Überqueren der Schienen und geschlossene Schranken sind sicher geplant worden, um den Radfahrern immer eine willkommene Pause zu ermöglichen. Manchmal hatte ich das Gefühl, als wollten einige besonders sportliche Fahrer versuchen, mit den Zügen mitzuhalten. Da die Abstände zwischen den Haltestellen relativ kurz sind, haben dies sicher auch einige geschafft.
Natürlich sind viele Familien mit ihren Kindern auf dem Fahrrad unterwegs, von denen die meisten mich, ohne große Mühen, überholt haben. Meist ganz schön voll gepackt, um auf eventuelle Probleme vorbereitet zu sein, und oft auch mit Anhängern, die aber zu 80% Hunde und nicht Kleinkinder transportiert haben.
 

Pause am Bodensee

Die Aktivitäten von Radwegreisenden haben auch Auswirkungen auf andere Tourismuszweige. Die Fähren, z.B. die von Wallhausen nach Überlingen, mussten unter Deck alle Sitzbänke entfernen, denn 80 % aller Gäste kamen mit dem Rad und die mussten alle abgestellt werden.
Die Qualität der Übernachtungen (3*) war in Ordnung, die Frühstücksbuffets reichlich, damit wir genügend Kalorien für die jeweils bevorstehende Tagestour aufnehmen konnten. In einem Hotel, das bereits seit 1390 urkundlich erwähnt wird (Hotel Messmer in Bregenz), habe ich auch noch nie geschlafen. Manchmal waren sogar die Stellplätze in den Parkhäusern knapp, dass aber im Ibis Konstanz keine 2. Bettdecke trotz Nachfrage aufzutreiben war, erscheint einem doch etwas ungewöhnlich.
 

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Fähre Friedrichshafen

 

Der Schweiß (bei mir) floss in Strömen, Shirts waren deshalb immer nur für den einmaligen Gebrauch bestimmt und jede Strecke bergab brachte automatisch, wegen des kühlenden Gegenwindes, ein Wohlgefühl mit sich, das nur dann übertroffen wurde, wenn wir nach erledigter Tagesetappe unsere Zimmer bezogen, ein 30-minütiges Schläfchen machen und dann unter die Dusche konnten. Fast wie ein neuer Tag!
Entlang der Strecke gab es aber auch viele Gelegenheiten, selbst in den Bodensee zu springen. Besonders empfehlenswert ist das Holzensteiner Badi (kurz hinter Romanshorn) mit hervorragenden sanitären Einrichtungen, alles kostenlos. Bei 24°C Wassertemperatur, und einem leider steinigen Untergrund, eine gute Gelegenheit, sich frisch zu machen.
 

Pause


Bei den körperlichen Anstrengungen konnte auf das Mittagessen -auch mangels Appetit- verzichtet werden, dafür schmeckte es am Abend umso besser, natürlich vom Zischen der verschiedenen Gerstengetränke begleitet. Kulinarisch gibt es einiges zu bieten, wonach man woanders sicher suchen muss. Ich denke da an das Büffeleis in verschiedenen Variationen (zum Probieren hat mir der Mut gefehlt), die zahlreichen Hofläden, die von Fleisch- oder regionalen Wurstarten, Säften, Früchten, Marmeladen (Zwiebelkonfitüre!) bis hin zu diversen Käsesorten alles im Angebot hatten. Über den Rohmilchpreis von 1,30 Euro/Liter würden sich die Bauern in anderen Regionen freuen. Offensichtlich gab es auch aktuelle Defizite: unverpacktes Erdbeereis war in Österreich oder in der Schweiz nicht im Angebot!
Die Bewohner der Region in allen 3 Ländern scheinen sehr heimat- und naturverbunden zu sein, denn so viele freie Flächen direkt am See, die nicht im Bauland umgewandelt worden sind, zeugen von einem erstaunlichen Widerstandswillen der Besitzer. Allerdings gibt es wohl kein Einfamilienhaus, das unter 1 Mio. Euro erworben werden kann, wir waren eben nicht in der „ärmsten“ Gegend Deutschlands.
 

Hofautomat

Unsere Tour kann auch wie ein Ausflug in die mehr als wechselvolle Geschichte Mitteleuropas betrachtet werden. Angefangen vom Konstanzer Konzil, der Vielzahl historischer, aber auch moderner, immer gut erhaltener Kirchen unterschiedlicher Glaubensrichtungen oder Schlösser, den Spuren, die die Herrscher beim Durchmarsch durch die Region hinterlassen haben, den technischen Höchstleistungen wie Zeppelin und Wanckel, bis hin zum Kriegsende 1945 mit seinen Zerstörungen, aber auch der Tatsache, dass Lindau erst 1955 dem Freistaat Bayern zugeordnet worden ist. Vieles von dem haben wir nicht gewusst und erst hier erfahren.

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Herz-Jesu-Kirche Bregenz
Herz-Jesu-Kirche Bregenz
Schloss Montfort
Schloss Montfort


Gewöhnungsbedürftig waren für uns auch einige Preise, z.B. eine 30-minütige Zeppelinrundfahrt für 290.- Euro, Spritpreisunterschiede von über 40 Cent zwischen Berlin und der deutschen Bodensee-Region (über Schweizer Preise muss man nicht diskutieren), das muss man erst einmal verdauen. Die regelmäßigen „Wasserstandsmeldungen“ an die Lieben zu Hause mit Bildern und Kommentaren dienten dazu, damit sie sich davon überzeugen konnten, dass wir die ungewohnten Anstrengungen gut überstehen. Von den notwendigen Behandlungen mit Franzbranntwein oder nächtlichen Wadenkrämpfen haben wir erst nach der Rückkehr berichtet. 2 kg weniger Körpergewicht (überwiegend umgesetzt in Schweißausbrüchen), aber das fällt ja nicht so auf und ist in wenigen Tagen ausgeglichen.
Am letzten Abend in Konstanz, in einem Biergarten am Rhein sitzend, den Sonnenuntergang bei 27°C, einem kühlen Bier und Schwäbischen Zwiebelrostbraten mit Spätzlen genießend, konnten wir uns über die erfolgreiche, erlebnisreiche und hochinteressante Tour einfach nur freuen.

Abendessen in Konstanz

Einige Reisehinweise sollten dem ausgezeichneten Infomaterial noch hinzugefügt werden, wie z.B.
-    der Besuch der Lindauer Innenstadt ist nur von 06 - 10 Uhr mit dem Fahrrad möglich, danach kann man es nur noch durch die Menschenmassen schieben;
-    der Besuch des Pfänders in Bregenz sollte fester Bestandteil werden, denn besser kann man den Bodensee und seine Region nicht überblicken. Das Fahrrad kommt aber nicht in die Seilbahn, denn gerade am späten Nachmittag kommt man damit weder auf- noch abwärts;
-    nach jedem Tag sollte geprüft werden, ob die Reifen noch genügend Luft haben. Es lohnt sich, denn danach fährt es sich (eigene Erfahrung) besonders auf den asphaltierten Streckenabschnitten viel, viel leichter
-    die Kunsthalle Würth in Rorschach mit viel moderner, aber sehr hochwertiger Kunst (sicher mit schwindelerregenden Versicherungssummen) und einer guten Tasse Kaffee auf der Terrasse mit herrlichem Blick auf den See
-    Schloss Montfort in Langenargen mit der 134-stufigen Wendeltreppe zur Turmspitze. Vielleicht bietet die Tourismusinformation als besonderen Service kostenlose Blutdruckmessungen an, damit der Besucher weiß, ob er vielleicht doch noch eine Pause benötigt.;

Seilbahn Pfänder
Seilbahn Pfänder

Was möchten wir unbedingt nicht vergessen:

Der freundliche Empfang durch die Mitarbeiter (eine Kollegin hat uns an Kim Clijsters erinnert) mit Getränken und Eis, unser Erstaunen über die riesige Menge an abholbereiten Fahrrädern und E-Bikes (kein Wunder, die roten Räder waren an allen Orten nicht zu übersehen), die problemlose Bereitstellung des Parkplatzes (dies war wochenlang vorher telefonisch nicht möglich), die kostenlose Mitnahme einer Luftpumpe und die gute Stimmung, die uns vermittelt wurde, wohl wissend, was uns die nächsten Tage körperlich alles abverlangt werden würde.
Die vorgeschlagene Route mit abnehmend anstrengenden Etappen erwies sich als die genau richtige, die einen herrlichen Abschluss mit einer Schiffs-Rundfahrt vom Hafen Konstanz aus und einem Essen im Biergarten am Rheinufer ermöglichte.

Wir werden diese Tage in sehr angenehmer Erinnerung behalten, die Anstrengungen sind schon vergessen, und mit der Qualität ihrer Arbeit haben Sie Werbung für das Reisen mit dem Fahrrad im besten Sinne geleistet.